Schwarzer Reiter
Er horchte. Es war ihm, als würde das ferne Geläute einer Triangel, mit
denen der Koch des Saloon die Goldgräber zum Abendessen rief, hören und setzte
sich auf. Mit einem harten Geräusch stieß er an einen Stein, der über ihm lag
und ihn von der Außenwelt fast hermetisch abschloss. Schon wieder nicht
bedacht! Aber weh getan hatte es sonderbarerweise nicht. Langsam bewegte er mit
einem leisen Klappern seinen rechten Arm und versuchte, den flachen Stein ein
wenig beiseite zu schieben. Oh, wie schwer! Oder wurde er mit der Zeit nur
immer schwächer? Wann würde es nicht mehr gelingen, seinem Auftrag, den er so
sehr ernst nahm, nachzukommen? Und wie war er hier unter diesen Stein gekommen?
Er dachte über den Beginn der Geschichte, die ihn hierhergeführt hatte,
nach. Damals, als der Goldrausch das Land überzog und eine große Anzahl von
Goldgräbern, Glücksrittern, aber auch Banditen und ähnliches Gesindel über die
Great Plains nach Kalifornien gespült hatte. Auch er hatte sich, berüchtigt als
ein Revolverheld und Bandit, der in einigen Städten steckbrieflich gesucht
wurde, auf den Weg gemacht, um den Anteil des neuen Reichtums, möglichst ohne
Arbeit, in seinen Besitz zu bringen.
Dass es dabei nicht immer ehrlich zugehen würde, lag an seiner Art und an
seinem Status als ein bekannter Outlaw und Killer. In einer der vielen
Goldgräbersiedlungen, deren Häuser roh aus Brettern zusammengezimmert schienen,
ließ er sich nieder, grub selbst aber nicht nach Gold, sondern zog den schwer
arbeitenden Goldgräbern und Minenarbeitern im einzigen Saloon des Ortes beim
Pokerspiel das Gold aus der Tasche. Er war keiner Schießerei und auch keiner
Schlägerei abgeneigt und so genoss er schon bald einen, wenn auch zweifelhaften
Ruf eines Mannes, dem man besser aus dem Weg gehen sollte.
Bis das Gerücht aufkam, dass es hier in der Gegend an einigen Stellen nicht
mit rechten Dingen zugehen würde. Man flüsterte von schwarzen Reitern, sogar
über Gespenster, die den Tod bringen sollten, wurde unter den Goldgräbern und
Arbeitern zu vorgerückter Stunde im Saloon gemunkelt.
Er ging gerade hinüber in das Etablissement, als ein Reiter, schweißgebadet
und dabei auf sein Pferd einschlagend, in das Dörfchen preschte und immer
wieder schrie: „sie kommen, sie kommen!“ Dann fiel er vom Pferd, zuckte noch
einige Male und bewegte sich dann nicht mehr. Tot!
Das Geräusch von sich schnell bewegenden Pferdehufen wurde lauter und dann
überrannten sie die Mainstreet mit ihren pechschwarzen Pferden, schwarze,
zerfetzte Staubmäntel wehten im Wind, die Hüte waren weit in die Stirn gezogen,
Gewehre auf dem Rücken, einen doppelten Pistolengurt umgeschnallt, so jagten
sie dahin. Ihre Augen und auch die der Pferde leuchteten rot und es kam ihm
sehr unwirklich vor. Die Mainstreet war plötzlich wie ausgestorben, nur er
stand noch vor dem Saloon, tastete schon einmal nach seinem Colt und hielt sein
Gewehr fester. Nun waren sie heran. Die schwarzen Staubmäntel, schon in
Fetzten, um flatterten die grausigen Gestalten, die vor der untergehenden Sonne
eher wie Scherenschnitte wirkten.
Die staubige Straße war urplötzlich menschenleer, selbst der Schmied, dessen
oftmals fröhliches Hämmern tagsüber immer wieder zu hören war, hatte abrupt
aufgehört und war verschwunden. Nur aus der Esse kräuselte sich noch leichter
Rauch.
Er riss sein Gewehr hoch und schoss auf die heranstürmenden Reiter! Keine
Wirkung!
Er repetierte
und schoss erneut, bis das Magazin der Winchester leer war. Nun griff er hastig
zu seinem Colt, zog ihn aus dem Holster und feuerte ihn leer, aber es geschah
nichts! Keine Wirkung war zu erkennen, obwohl er sich sicher war, getroffen zu
haben.
Und dann war
der Vorderste der geisterhaft aussehenden Reiter bei ihm und ritt einfach durch
ihn hindurch! Er spürte ein Ziehen in seiner Brust, griff sich ans Herz,
schnappte nach Luft und stürzte, sich um seine eigene Achse drehend, zu Boden.
Hilfesuchend riss er seine Arme hoch, aber niemand der Bewohner dieser
Goldgräbersiedlung traute sich aus den Häusern, in welche sie sich geflüchtet
hatten. Er starb und fiel in den Staub der Straße!
Als der Sturm der wilden Reiterschar verklungen war, wagten sich die ersten
Bewohner auf die Mainstreet und dort fanden sie den Toten. Sein Gesicht war vom
erlittenen Schrecken verzerrt, seine Hand um krallte noch immer seinen Colt und
auch die Winchester, die er, als er nach seinem Revolver griff, zu Boden
geworfen hatte, lag neben ihm im Staub.
Der Totengräber, ein hagerer Geselle mit einem eingefallenen Gesicht,
welches von einer riesigen Hakennase gekrönt wurde, nahm sich kurzerhand des
Leichnams an, legte ihn in einen roh zusammengezimmerten Sarg und so brachte
man ihn nach Boot Hill, dem Stiefelhügel, der schon eine Anzahl von Schicksalen
beherbergte. Ein Loch, passend für den Bretterverschlag, war schnell
ausgehoben, der Sarg darin versenkt, nachlässig etwas Erde darüber geworfen,
ein schiefes Holzkreuz in die Erde getrieben, auf denen man sein Initialen und
den Todestag eingeschnitzt hatte und nun wurde noch ein flacher Feldstein auf
das Grab gewälzt. Die wenigen Goldgräber, die seinen letzten Weg begleitet
hatten, trollten sich zufrieden. Nun würde er ihnen das sauer erworbene Gold
nicht mehr streitig machen können.
Endlich gelang es ihm, den Stein beiseite zu schieben. Er richtete sich auf
und schaute hinaus in die aufziehende Dämmerung. Der kalte, von der Halbwüste
einfallende Wind pfiff durch seine Augenhöhlen, die rot aufleuchteten und ließ
den schwarzen Staubmantel, schon ziemlich zerfetzt, flattern, aber er spürte
davon nichts. Er griff nach seiner Waffe und gurtete sie um. Ärgerlich nur: So
richtig halten wollte das seit einiger Zeit nicht mehr. Er hatte wohl gehörig
an Gewicht verloren. Neben seinem Grab stand schon ein riesiges schwarzes
Pferd, ihn für seinen täglichen Ausritt erwartend und überall war Bewegung an
den Grabhügeln. An vielen Stellen stiegen schrecklich aussehende Gestalten,
rotäugig glotzend, aus den Gräbern, gingen klappernd zu ihren Pferden und
stiegen auf. Er tat es ihnen gleich. Endlich konnten sie gemeinsam wieder durch
die kleinen Orte reiten und dort Angst und Schrecken verbreiten und er war
dabei!
Wie jeden Tag,
wie jede Nacht!
© Rolf Glöckner
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